Das unsichtbare Kind 2.Teil

Auf dem Dorf war es noch mal ganz was anderes als wenn man in der Großstadt lebte in der Nachkriegszeit. Dort wo alles zerbombt wurde, Alles in Schutt und Asche lag, musste wieder alles von Neuem aufgebaut werden, das war auf den Dörfern eigentlich nicht der Fall. Dennoch mussten meine Oma und mein Opa um ihr bisschen hab und gut kämpfen. Wir waren Selbstversorger, das hieß man hatte eventuell ein bisschen Land und ein paar Nutztiere. So benötigte man jeden der mit anpacken konnte. Das bedeutete das alle Kinder sowie die Eltern und Großeltern im Haus und auf dem Feld mit anpacken mussten. Da gab es kein Vielleicht oder ich habe heute kein Bock. Jeder hatte eine Aufgabe und die schien den Kindern auch Spaß zu machen.
Früh morgens um vier ging es auf die Weide. Die Kinder fütterten die Tiere und zogen mit den Tieren auf das Feld. Die Ziegen waren den ganzen Morgen über auf der Großen Wiese und Rita pflückte am Berg die Heidelbeeren, wo inzwischen Georg die Kartoffeln vom Feld mit der Hand einsammelte. Es gab schließlich das auf den Mittagstisch was am Morgen geerntet wurde. Erst gegen Nachmittag ging es dann in die Schule und wenn man auch dort gut mitarbeitete dann war der Lehrer nett und freundlich. Sobald aber Lausbuben unter der Klasse für Aufregung sorgten, Holte der Lehrer den Schlagstock heraus und so bekam der freche Junge eine Tracht Prügel auf dem Popo. Sobald sich die Klasse wieder beruhigte ging es wieder an die Arbeit. Als die Schulglocke läutete und das Tagewerk vollbracht war konnten alle Kinder nach Hause gehen. Rita war schon sehr sensibel und entwickelte Ängste, besonders vom Schulweg bis zu ihr nach Hause zu gehen bereitete ihre große Angst. Wenn, doch auch nur an dem Vorbau zur Treppe ihre Mutter gestanden und ihr zu gewunken hätte. So bemerkte Mathilde nicht, welche Angst und welche Gedanken in ihrer Tochter vorgingen. Oder vielleicht war es auch so, dass Mathilde die Ängste von der kleinen Rita nicht so ernst nahm und darüber hinwegsah. So tat Mathilde es oft, wenn es Probleme in der Familie gab, sie zog sich dann zurück und kehrte das meiste unter dem Teppich. So war es immer, denn im Grunde war Rita ein sehr einfaches und liebes Kind. Sie war nicht bockig oder anstrengend. Sie tat immer das was ihre Mutter sagte. Es war doch eigentlich eine Wohltat so ein pflegeleichtes Kind nach dem Krieg zu haben, da es nicht leicht war überhaupt die Kinder durch zu bringen und zu verpflegen. Alsbald bekam Rita noch zwei Geschwisterchen. Eine Halbschwester hatte sie schon, die Georg von seiner ersten Ehefrau bekam. Georgs erste Frau ist an einer, Blinddarm Entzündung gestorben. So war er lange allein, bis er Mathilde zu sich als Haushälterin in sein Haus holte.
Obwohl er sie schon lange kannte und Haus an Haus wohnte. Irgendwann ergab sich daraus dann eine Liebesbeziehung. Sie heirateten, und 1942 kam das erste Kind zur Welt. Dass sie, nach 14 Tagen wieder verlor. Da war Mathilde Zweiundzwanzig Jahre alt.
Im Laufe der Jahre häuften sich die Anzeichen einer Panikattacke (die man heute so nennt), bei Rita. Immer dann, wenn sie Hubschrauber, Flugzeuge vom weiten, am Himmel sah und hörte. Sie rannte so schnell wie sie konnte und duckte sich dabei. Ihr blieb die Luft weg, sie bekam Schweißausbrüche. Um sie herum drehte sich alles und sie hatte das Gefühl im nächsten Augenblick würde sie umkippen und nicht mehr Aufwachen. So erging ihr das auch bei jeder Art von Herausforderungen bei Problemen und Sorgen. Jedes Mal bekam sie diese Todesängste. Sie konnte sich nicht erklären, warum das so war. Das schlimmste war aber, dass sie mit niemanden darüber reden konnte. Sie wollte ihre Mutter schützen, ihr nicht sagen was sie Tag für Tag erlebte. Denn eine schwere Zeit stand Mathilde bevor. Und noch bevor das Unheil begann, legte sich wieder dieser Graue Schleier über das Haus, ihr Elternhaus. Schwere Müdigkeit, Tränennasse Augen …Nächte an denen, an Schlaf nicht zu denken war. Angst macht sich breit. Jetzt sind alle Kraft und Mühe von Rita gefragt. Sie musste jetzt alles irgendwie zusammenhalten.
Liebe? Nein keine Liebe, entsetzen und Sprachlosigkeit bahnten sich an. Kein Wort, nicht ein Wort, was ist nur los Mutter? Rita wusste nicht was sie tun sollte, sie tat was sie tun musste, aber sie war fassungslos. Mathilde, erstarrte zu einer eisernen Statur wie ihr Blick so leer und kalt, so erzitterte Rita vor ihr, sie war hilflos und von allen allein gelassen. Wieder diese Todesangst wieder dieses beklemmende Gefühl auf der Brust. Was hatte das nur zu bedeuten, würde ich denn nicht mal mit Schwierigkeiten fertig, fragte sich Rita? Der Hausarzt, der am Abend vorbeikam, sagte das er nichts finden könne, dass Sie Gesund sei, also konnte es nichts Körperliches sein. Er war genauso ratlos. Gebt ihr Zeit, sagte er zu den Kindern und zu ihrem Mann. Ich kann im Moment nichts weiter für eure Mutter tun. Schon bald übernahm Rita die Rolle der Mutter und kümmerte sich, ohne an irgendwelche Folgen zu denken. Es war ihr selbstverständlich. Denn sie liebte ihre Eltern.
Und obwohl sie auch in der Schule Kontaktschwierigkeiten zu gleichaltrigen Jungs hatte, die sie immer wieder gehänselt und verstoßen hatte und zuallerletzt sogar körperlich und psychisch verletzten, sagte Rita nichts zu ihren Eltern, denn sie wusste ja wie sie reagieren würden und dies als nicht relevant angesehen hätten. So blieb sie mit ihrer Angst allein, oft weinte sie auf ihrem Zimmer, heimlich. Auch ihre Geschwister schienen deutlich robuster zu sein, was Schwierigkeiten im Alltag und in der Schule angingen.
Von niemanden konnte sie Hilfe erwarten denn sie musste ja stark sein.

Das unsichtbare Kind Teil 1

Wie ein Schatten legte sich Schwere und Traurigkeit über viele deutscher Städte zu jener Zeit.
In tiefster Not und Kälte im zweiten Weltkrieg 1944, gebar Mathilde ihr zweites Kind. Selbst von Angst und Zweifel zerfressen, stand sie das Martyrium durch. Was, sollte nur aus dem Kind werden, fragte sie sich. In jenen Moment als die schweren Bomber Flieger über die Dächer sausten.
Ihr erstes Kind Werner war am plötzlichen Kindstod gestorben, er wurde gerade mal vierzehn Tage alt. Seitdem besuchte sie ihn jeden Tag auf dem Friedhof. Ihr Mann hielt zu ihr und betrachtete sie Liebevoll und zärtlich. Das war in diesem Moment auch ihr einziger Halt, als sie mit dem ungeborenen Kind im Mutterleib in den Keller mussten, als die Sirenen im Dorf Fliegeralarm schlugen. Es waren vielleicht noch etwas über drei Wochen dann sollte sie ihr Kind bekommen. Bis dahin musste sie Todesängste durchstehen, wenn auch nicht viel auf einem Dorf passieren würde, dennoch die Angst war immer da. Mathilde, war sehr sensibel und feinfühlig spürte sofort, wenn etwas nicht stimmte. Und so nahm sie alle Fäden in die Hand um alles rechtzeitig zu Planen. Es gab es auch eine Zeit da legte sich das Grau, das draußen war, auch auf ihr Gemüt. Ihr herzliches Lachen verstummte. Fortan konnte sie die Liebe in ihrem Herzen nicht mehr zeigen. Und nun war es so weit, das kleine Mädchen wurde geboren und zunächst waren alle Augen auf sie gerichtet.

Rita wurde am 3.10.1944 im Krieg geboren, trotz allem haben es die beiden geschafft mit Armut ihre Kinder aufzuziehen und zu erziehen. So sollte ihr Leben glücklich gesund und zufrieden werden.
Etwas unheimlich… und nichtsahnend machte man sich auf dem Weg in ein neues Leben. Glück, Zusammenhalt und Traurigkeit, Freude, Tränen und Verzweiflung…all das gab es zu jener Zeit. Der Krieg war verloren und endlich hatte diese schreckliche Angst ein Ende, sowie der Krieg auch am Ende war, dennoch musste jeder sehen, wie man zurechtkam und es gab nicht viel, Manche waren sehr arm. Die kleine, wuchs in guten Händen auf, Mathilde und Georg taten alles was in ihrer Macht stand. Als das kleine Mädchen schon zwei Jahre alt war, freute man sich an ihrer besten Gesundheit. Die ersten Obstbäume blühten im Garten, Die Vögel sangen und es war ein herrlicher Tag im Mai. Es schien fast so als ob es niemals einen Krieg gegeben hatte. So wunderschön war der Frühling und so dankbar und hell erstrahlte die Sonne. Doch die Erinnerung und die Ängste, die sich im Unterbewusstsein verankerten, die ließen sie nie mehr los.

Das was der Krieg aus den Menschen machte, fesselte, traumatisierte sie und machte die Menschen Kühl in ihren Herzen. Irgendwas verstummte und wurde nie wieder so wie es einmal war.
Der Graue Schleier zog sich durch eine ganze Generation, auch Rita sollte davon nicht verschont werden, nur ging sie später ganz anders damit um.